Kreis Höxter (red). In der christlichen Liturgie ist die Vesper ein Abendgebet, das vor einem hohen Gedenktag die Gläubigen in der Kirche versammelt. Wäre Corvey noch immer eine tätige Abtei, dann hätten die Mönche dort am Sonntag – in diesem Jahr der Tag vor Maria Himmelfahrt, eine feierliche Marienvesper abgehalten. Womöglich hätte auch die heute zuständige Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus zu einer kleinen Gebetsvesper eingeladen.

Aber in diesem Jahr ist auch das 1200-jährige Jubiläum des Klosters Corvey. „Lasst uns doch versuchen, ob wir das nicht in besonderer Weise in Wert setzen können“, hatte sich der Künstlerische Leiter des Klosterfestivals, Hans-Hermann Jansen, gedacht. Und siehe da, an der Musikhochschule in Hannover hat Professor Frank Löhr gerade in einem großen Semesterprojekt mit Studierenden und seinem Eranos-Musikensemble sowie dem Konzertchor der Hochschule mit der Marienvesper von Claudio Monteverdi das größte liturgische Kompositionswerk des Frühbarocks erarbeitet. „Besser hätten die Dinge nicht zusammenfallen können und so können wir heute an diesem Ort die größte Vesper feiern, die Corvey je gesehen hat“, begrüßte Jansen die Zuhörer in der vollbesetzten Abteikirche.

Anders als die großen Oratorien ist die Vesper eher eine kleine und stille Form liturgischer Musik. Monteverdis Monumentalvesper ist darum bis heute ein besonders rätselhafter Gegenstand der Kirchenmusik. Rund zwei Jahre hatte Monteverdi an dem rund 100-minütigen Werk für Chor und Orchester gearbeitet. 1610 erschien die Marienvesper im Druck – doch weder gibt es eine gesicherte Uraufführung, noch ist sicher, wofür Monteverdi das Werk überhaupt geschrieben hatte. Der Name „Marienvesper“ hat sich als deutsche Bezeichnung für diese Komposition eingebürgert. Teilweise wurde bestritten, dass das Werk für sich überhaupt einen Gesamtzusammenhang hat und nicht vielmehr eine Art lose Sammlung von Konzerten und Psalmen darstellt. Fakt ist aber, dass die Marienvesper über 40 Jahre lang das größte liturgische Musikwerk der christlichen Welt war, bis es 1853 von Bachs h-Moll-Messe abgelöst wurde.

In der Kategorie der Vesper jedoch ist Monteverdis Marienvesper bis heute die größte ihres Genres. In Corvey hat es schon viele große Konzert- und Oratorienaufführungen gegeben, aber man kann sich sehr sicher, dass in 1200 Jahren noch keine so große Vesperliturgie gefeiert wurde. 50 Choristen und Orchestermusiker unter der Leitung von Prof. Frank Löhr wirkten an der Aufführung mit. Diakon Erwin Winkler besorgte die geistlichen Begleitung.

„Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich das Weltkulturerbe Corvey erst über dieses Projekt kennen gelernt habe, aber vor allem bin ich begeistert von der großen musikalischen Sachkenntnis des Publikums und auch wenn Monteverdi eher die großen Kirchen Roms im Blick hatte, scheint mir diese Vesper doch auch wie für Corvey gemacht zu sein“, sagte ein Ensemblemitglied. Mit stehenden Ovationen und minutenlangem Applaus wurde die Aufführung gefeiert. „Ich kenne viele Aufnahmen der Marienvesper, aber gegen diese großartige und ungemein kraftvolle Live-Aufführung an diesem prachtvollen Ort ist das alles kalter Kaffee“, brachte ein Kirchenbesucher seine Begeisterung zum Ausdruck.

Das zweijährig stattfindende Klosterfestival Kreis Höxter hat in den zurückliegenden zwölf Wochen mit rund 20 Konzerten und anderen Veranstaltungen die Klosterlandschaft im Kreis Höxter und in ganz Ostwestfalen-Lippe belebt. „Es war eine sehr gut nachgefragte Veranstaltungsreihe, die auch das touristische Potenzial der Klosterregion weit über der Kreisgrenzen hinaus getragen hat“, resümierte Jansen.

Auch wenn das Klosterfestival offiziell beendet ist, gibt es noch weitere Kulturveranstaltungen innerhalb der Klosterlandschaft OWL im Kreis Höxter. In der Corveyer Abteikirche finden unter dem Titel „Blue Church“ immer am letzten Freitag eines Monats noch drei kleine, meditative Jazzkonzerte statt.  Am Freitag, 30. September, 20 Uhr, ist dort der Jazzpianist Georg Rox zu Gast. Obwohl es sich hier um eine weltliche Konzertveranstaltung handelt, folgt sie mit ihrem kontemplativen Charakter in besonderer Weise der klösterlichen Tradition der Komplet genannten Abendandacht. (Burkhard Battran)

Foto: Klosterlandschaft OWL